Kämpferin

Blass und wehrlos
dein Gesicht
im Spiegel
am Morgen

Du malst
dir Kriegszeichen
auf die Haut
streifst deine
schwarze Alltagsrüstung
über die verletzlichen Stellen
fährst deine
roten Krallen aus
und kämmst
die Haare
straff nach hinten

So festgezurrt
und eingehaust
sind deine Ängste
erträglich

Hart
schlagen
deine Absätze
auf den Gehweg

Bewaffnet mit
dir selbst
beginnst du den Tag

Christine Ruppert © 2018

Über sie hinaus

Sie steht auf der Kanzel

Wortgewandt
spricht sie
Aus alten Texten
webt sie
ein HeuteWort
Den tieferen Sinn
legt sie
tröstend
mir ans Herz

Verschlossenes
öffnet sich
Wege tun sich auf

Sie steht auf der Kanzel
Sie weist
über sich hinaus

Christine Ruppert © 2018

Juli

Am See
will ich meine Wurzeln
in den Boden senken
und fest stehen
Bunte Steine wie Muscheln
zwischen meinen Füßen
In der Brandung spielen kleine Fische

Am See
will ich mich niederlassen
da sein
nackt sein
ich sein
und den schwebenden Segeln
nachträumen
in der Weite

Dem See
will ich näher kommen
durch die kühlen Wellen am Ufer laufen
meine nackten Zehen
in den warmen Kies graben

Am See
kann ich
Verwandlung erleben
in der GEGENWART

Christine Ruppert © 2013

Neuerscheinung

Mini-Präsentbuch „Hoffnungslichter“, hg.v. Kathrin Clausing, Verlag am Eschbach 2019. ISBN 978-3-86917-738-0

Liebe Leser*innen!
Ich möchte auf eine Neuerscheinung aufmerksam machen.
Soeben wurde mein Gedicht „Wunder“ in der neuen Anthologie „Hoffnungslichter“ des Verlags am Eschbach veröffentlicht. Es ist ein sehr ansprechend gestaltetes kleines Geschenkbüchlein mit einer schönen Textauswahl zum Thema Hoffnung geworden. Ich freue mich, dass ich ein Gedicht dazu beitragen konnte!

Flügel

Zwischen Tränen und Trümmern
suche ich nach meinen Flügeln
Sie wachsen mir aus
meinen schmerzenden Schultern

Tröstlich streicheln die Federn
meine verletzliche Haut
Ich spüre Schutz und Stärke im Rücken
Meine Last wird leicht

Wenn ich die Augen schließe
tragen sie mich
durch mondhelle Sommernächte
an den Horizont der Sehnsucht


Christine Ruppert © 2015

Der gute Hirte

Wegzehrung

In- und auswendig

Eingelagert
in die Tiefenschichten
meines Herzgrundes

Im finsteren Tal
am eigenen Leib erfahren:

gehalten
in Deinem Arm
getröstet
von Deiner Gegenwart
berührt
von Deiner Liebe

Christine Ruppert © 2019

Schwester Amsel

Fotografie Karin Reißenweber © 2019

Dein warmer Blick
der alles weiß
goldumrandet
sieht mich an
Schwester Amsel

Mitten in deinem
fraglosen Tun
hältst du inne

Aus deinen Augen
grüßt mich
liebevoll
das Leben

Christine Ruppert © 2019

Frühlingstrost

Es ist ein Trost
dass der Kirschbaum
dennoch blüht
ein Meer aus rosaroten Wogen
und dass die Amsel mutig ihr Lied singt
im Morgengrauen

Ein Trost ist
die Wiederkehr der Hummeln
die umhegte Weite des Rasens
das weiche Moos unter meinen Füßen
und das schüchterne Lächeln der Gänseblümchen

Die leuchtende Lebensfreude der Tulpen
ist tröstlich
die Standhaftigkeit der Butterblumen
und die zarten Schirmchen
ihrer verwandelten Schwestern
die mir sagen:
Lass los
Es kommen neue Wege
von denen du nichts ahnst

Christine Ruppert © 2016

Raum

Ich taste mich vor
in den Tag
Wieder ein schmaler Pfad
zu gehen heute
über Geröll von Schmerz und Angst
ohne Geländer
immer entlang
am Abgrund der Verzweiflung

Aber
Du
stellst meine Füße
auf weiten Raum

Um mich leuchtet Stille
Das Geländer
entsteht

Christine Ruppert  © 2017