Am See
will ich meine Wurzeln
in den Boden senken
und fest stehen
Bunte Steine wie Muscheln
zwischen meinen Füßen
In der Brandung spielen kleine Fische
Am See
will ich mich niederlassen
da sein
nackt sein
ich sein
und den schwebenden Segeln
nachträumen
in der Weite
Dem See
will ich näher kommen
durch die kühlen Wellen am Ufer laufen
meine nackten Zehen
in den warmen Kies graben
Am See
kann ich
Verwandlung erleben
in der GEGENWART
Christine Ruppert © 2013
Frühlingstrost
Es ist ein Trost
dass der Kirschbaum
dennoch blüht
ein Meer aus rosaroten Wogen
und dass die Amsel mutig ihr Lied singt
im Morgengrauen
Ein Trost ist
die Wiederkehr der Hummeln
die umhegte Weite des Rasens
das weiche Moos unter meinen Füßen
und das schüchterne Lächeln der Gänseblümchen
Die leuchtende Lebensfreude der Tulpen
ist tröstlich
die Standhaftigkeit der Butterblumen
und die zarten Schirmchen
ihrer verwandelten Schwestern
die mir sagen:
Lass los
Es kommen neue Wege
von denen du nichts ahnst
Christine Ruppert
© 2016
März
Nackt
stehen die Bäume
im Frühjahr
Zögerlich nur
wärmen sie ihren Stamm
der so viele Stürme bestanden hat
in der Sonne
Die kahlen Zweige
recken sich
fremd noch
ins fragwürdige Blau
des Frühlingshimmels
Vorsichtig
tastest auch du
nach der Grünkraft
in deinem Inneren
Du stehst am Fenster
und fragst dich
was du hoffen kannst
von diesem Sommer
Christine Ruppert © 2013
Lichtgeburt
Hinaus!
Hinaus aus den vier Wänden!
Himmelweit
dehnen sich die Wolken
über der Allee
Schwarz
schreibt das Astgewirr
der Bäume Weisheit
in den Winterhimmel
eine Ahnung nur
vom ABC der Zweige
…
Am Satzende
strahlt die Sonne auf
Staunend stehe ich
im Wolkenriss
minutenlang
überschüttet
von Licht
Christine Ruppert © 2019
Zurückfinden
In
den späteren Jahren
ist der Schnee eine Last
bedrohliche Unbill
Stolperstein
im reibungslosen Ablauf der Dinge
Man sehnt den Frühling herbei
schaudert ob der Kälte
und verwünscht die frühe Dunkelheit
Doch eines Morgens
verzaubert Sonnenlicht
die frisch verschneite Landschaft
und du entdeckst
Schönheit
Auf leisen Sohlen
nähert sich Freude
über die
Abweichung vom Alltäglichen
die lautlose Eleganz
der tanzenden Flocken
die Verwandlung
Und wenn du
für einen Augenblick
zurückfinden kannst
zur Winterfreude des Kindes
dann baust du
wenn keiner hinsieht
einen Schneemann
und dein Herz lächelt
Christine Ruppert © 2013
Novemberwonne
Gib mir deine graue Decke
November
Ich zieh sie mir über
den Kopf
Ich grabe mich ein in deine
weichen Federn
genieße die Ruhe die
Dunkelheit
Endlich einmal genug
genug getan genug
gewagt genug geleistet
Mein Körper schreit meine Seele
ruft nach Rast
Gib mir deine graue
Decke November Ich zieh
sie mir über den Kopf
Ich krieche ins Weiche undWarme
Ich lasse
los
–
und seufze
Ach
endlich
Christine Ruppert © 2018
Spät im Jahr
Sommerlich
gekleidete Menschen
gehen auf staubigen
Oktoberwegen
Dürre Blätter rascheln
Hungrige Vögel zanken sich
im trockenen Gras
Eicheln fallen
mit hartem Laut
Der Sonnenstand
zeigt die Jahreszeit
Schräge Lichtstrahlen
tauchen
gefärbte Äste
in überirdischen Glanz
Christine Ruppert
Der Herbst wird bunt
Noch
ist Sommer
Noch
leuchtet am Mittag
die Sonne warm
vom Himmel
wolkenlos
Ich bade
im Blauen
genieße
die glitzernden Wellen
die Farben von
Löwenmaul und Lavendel
Plötzlich
weht mir ein kühlerer
Windstoß
ein buntes Blatt
in meinen Badeschuh
Rot gelb und grün
lacht es mich an
und
sagt mir fröhlich:
Diesmal wird der Herbst
bunt
Christine Ruppert