Tief eintauchen ins Jetzt
wie in einen stillen See
Ich atme in vollen Zügen
den Duft von warmem Moos und reifen Äpfeln
lausche der Gegenwart
Rosenrot wispert Sonnenblume lacht
alte Bäume grüßen mich
und über allen Wegen
das Licht
ach
das Licht
grüngolden
zwischen allen Zweigen
leuchet
bis auf den Grund
dieser kostbaren Stunde
Septemberlicht
Christine Ruppert © 2021
Bethlehem im Sommer
Mitten im Durcheinander
meiner Wohnung
bist du da
Mitten in der Achterbahn
meiner Gefühle
dein Friede
Mitten im Sturm
der Gedanken
deine liebevolle Umarmung
Inmitten der Zerrissenheit
meiner Tage
stehe ich an deiner Krippe
auch heute
kommst du zur Welt
Christine Ruppert © 2019
Sommer im Garten 22
Ich kam um zu träumen
die Quelle zu finden
den Segen der Grünkraft
Doch ich fand
eine große Dürre
dürstende Bäume
die vertrocknete Wiese
braun und blütenlos
Ich fand den Fluss
nah am Versiegen
ein Rinnsal zwischen Steinen
die letzten Fische
in trostloser Qual
Und mein Herz brannte
weil ich begriff
es sind meine Wälder
die in Flammen stehen
mein Feld verdorrt
mein Land versinkt
meine Arten sterben
Meine Welt
mein eigener Garten
bedarf der Rettung
Jetzt
Christine Ruppert © 2022
Zu Ende gelesen
Am Ende eines Buches
das Gefühl
von Unbehaustheit
Schwer
die fremdvertraute
Welt zu verlassen
Wie ein Wolkenschatten
liegt der Nachklang der Geschichte
über meiner Seele
Schicksale
Liebgewonnenes
bewegende Ähnlichkeiten
Noch ganz
umsponnen
von den Fäden
erdachten Lebens
stehe ich mit einem Mal
draußen
vor der Tür
Der Buchdeckel
schließt sich
Christine Ruppert © 2022
Junitag
Auf der Wiese liegen
den Blick nach oben
in einen Himmel
voll Blau
Zärtlich beschattet
von Buchenästen
Gehalten
vom Mutterleib Erde
Gewiegt
in Sommerwärme
und Vogelgesang
Leises Rauschen
Der Geruch
nach warmem Gras
Unbemerkt
erreicht das Jahr
den Scheitelpunkt
Alles ist grün
und gut
Christine Ruppert © 2015
Mühsamer Tag
Alle Ecken spitz
alle Kanten scharf
ein Tag wie zerbrochenes Glas
Schneidend die Worte
das Schweigen der Anderen
Verirrt im Labyrinth
meines Zorns
Am Abend aber
tönt Amselgesang
legt sich
ein milder goldener Schimmer
auf mein Herz
Die Tagessplitter
glänzen
versöhnlich
In aller Vergeblichkeit
warst Du mir nah
Christine Ruppert © 2022
Die Neue
Gedicht aus der Reihe: „Schwestern“
Sie sagt von sich
sie sei immer
fröhlich gut drauf
Sie weint
beim Vorstellungsgespräch
Mit den Männern
hat sie
kein Glück
Ihre Mutter
bleibt ihr
eine liebevolle Umarmung
schuldig
Ich bin immer nur da
um den Dreck
wegzumachen
sagt sie
Ich müsste lernen
auch mal
Nein
zu sagen
Sie putzt meine Wohnung
Ihr Leben
erzählt sie mir
nebenbei
Christine Ruppert © 2022
Ostermorgen
Joh. 20, 11-18
Manchmal
stehe ich wie gebannt
und starre auf meine unerfüllten
Wünsche
beweine meine begrabenen
Hoffnungen
nähre den Zorn auf das
schwer Erträgliche
Was suchst du?
Die Frage stört mich
Unwillig wende ich mich
um
und erkenne Dich nicht
Da rufst Du mich
am hellen Tag
bei meinem Namen
Ein Staunen
erblüht
in mir
ein Glück
strahlt auf
Herzwärme breitet sich
um mich
wie ein Mantel
…
Ich spüre
Dein Licht
in mir
wachsen
Christine Ruppert © 2018
Nicht allein
2. Mose 14
Noch immer steht das Meer
wie eine Mauer
noch sind die schlimmsten
Katastrophen
nur in meinem Kopf
Tagsüber ist der Weg
oft hell
Ich gehe sicher
fast fröhlich
Gegen Abend aber
fluten die Nachrichten heran
der Boden wird grundlos
die Angstpegel steigen
Dann tröstet mich
Dein Lied
Du selbst hältst
die Verfolger auf Abstand
trägst mich ans rettende
Ufer des Schlafs
und weckst mich
jeden Morgen neu
Christine Ruppert © 2022
Märzgedicht
Später am Tag
sitzen wir
auf der Parkbank
trocknen unsere
angsttriefenden Herzen
in der Frühlingssonne
Ums Eck pfeift immer noch
der Winterwind
In den kahlen Zweigen
halten wir Ausschau
nach Hoffnungsgrün
Christine Ruppert © 2021