Ich kam um zu träumen
die Quelle zu finden
den Segen der Grünkraft
Doch ich fand
eine große Dürre
dürstende Bäume
die vertrocknete Wiese
braun und blütenlos
Ich fand den Fluss
nah am Versiegen
ein Rinnsal zwischen Steinen
die letzten Fische
in trostloser Qual
Und mein Herz brannte
weil ich begriff
es sind meine Wälder
die in Flammen stehen
mein Feld verdorrt
mein Land versinkt
meine Arten sterben
Meine Welt
mein eigener Garten
bedarf der Rettung
Jetzt
Christine Ruppert © 2022
Zu Ende gelesen
Am Ende eines Buches
das Gefühl
von Unbehaustheit
Schwer
die fremdvertraute
Welt zu verlassen
Wie ein Wolkenschatten
liegt der Nachklang der Geschichte
über meiner Seele
Schicksale
Liebgewonnenes
bewegende Ähnlichkeiten
Noch ganz
umsponnen
von den Fäden
erdachten Lebens
stehe ich mit einem Mal
draußen
vor der Tür
Der Buchdeckel
schließt sich
Christine Ruppert © 2022
Junitag
Auf der Wiese liegen
den Blick nach oben
in einen Himmel
voll Blau
Zärtlich beschattet
von Buchenästen
Gehalten
vom Mutterleib Erde
Gewiegt
in Sommerwärme
und Vogelgesang
Leises Rauschen
Der Geruch
nach warmem Gras
Unbemerkt
erreicht das Jahr
den Scheitelpunkt
Alles ist grün
und gut
Christine Ruppert © 2015
Mühsamer Tag
Alle Ecken spitz
alle Kanten scharf
ein Tag wie zerbrochenes Glas
Schneidend die Worte
das Schweigen der Anderen
Verirrt im Labyrinth
meines Zorns
Am Abend aber
tönt Amselgesang
legt sich
ein milder goldener Schimmer
auf mein Herz
Die Tagessplitter
glänzen
versöhnlich
In aller Vergeblichkeit
warst Du mir nah
Christine Ruppert © 2022
Die Neue
Gedicht aus der Reihe: „Schwestern“
Sie sagt von sich
sie sei immer
fröhlich gut drauf
Sie weint
beim Vorstellungsgespräch
Mit den Männern
hat sie
kein Glück
Ihre Mutter
bleibt ihr
eine liebevolle Umarmung
schuldig
Ich bin immer nur da
um den Dreck
wegzumachen
sagt sie
Ich müsste lernen
auch mal
Nein
zu sagen
Sie putzt meine Wohnung
Ihr Leben
erzählt sie mir
nebenbei
Christine Ruppert © 2022
Ostermorgen
Joh. 20, 11-18
Manchmal
stehe ich wie gebannt
und starre auf meine unerfüllten
Wünsche
beweine meine begrabenen
Hoffnungen
nähre den Zorn auf das
schwer Erträgliche
Was suchst du?
Die Frage stört mich
Unwillig wende ich mich
um
und erkenne Dich nicht
Da rufst Du mich
am hellen Tag
bei meinem Namen
Ein Staunen
erblüht
in mir
ein Glück
strahlt auf
Herzwärme breitet sich
um mich
wie ein Mantel
…
Ich spüre
Dein Licht
in mir
wachsen
Christine Ruppert © 2018
Nicht allein
2. Mose 14
Noch immer steht das Meer
wie eine Mauer
noch sind die schlimmsten
Katastrophen
nur in meinem Kopf
Tagsüber ist der Weg
oft hell
Ich gehe sicher
fast fröhlich
Gegen Abend aber
fluten die Nachrichten heran
der Boden wird grundlos
die Angstpegel steigen
Dann tröstet mich
Dein Lied
Du selbst hältst
die Verfolger auf Abstand
trägst mich ans rettende
Ufer des Schlafs
und weckst mich
jeden Morgen neu
Christine Ruppert © 2022
Märzgedicht
Später am Tag
sitzen wir
auf der Parkbank
trocknen unsere
angsttriefenden Herzen
in der Frühlingssonne
Ums Eck pfeift immer noch
der Winterwind
In den kahlen Zweigen
halten wir Ausschau
nach Hoffnungsgrün
Christine Ruppert © 2021
Im Februar
Zeit der Ungeduld
Wachsende
Sehnsucht
nach Weite
nach Wärme
Blattgrün
Menschengesichtern
Eng
wird das schützende
Schneckenhaus
im langen Winter
Seelenfenster öffne ich
dem Licht
taste mit
Worten und Tönen
nach meiner Lebendigkeit
nach Freude
im Februar
Christine Ruppert © 2022
Wenn das Gestern ins Heute fließt –
Online-Lesung
Eine Matinée mit Poesie und Musik erlebten die 25 Zuhörer*innen meiner Online-Lesung „Wenn das Gestern ins Heute fließt“ am 29.01.2022.
Diesmal drehte sich alles um das Thema Erinnerung. Die vorgetragenen Texte spannten den Bogen von Kindheitserinnerungen über Erinnerung als Erfahrungsschatz und Kraftquelle bis hin zur Frage nach der Funktionsweise unseres menschlichen Gedächtnisses.
Im klangvollen Wechsel zu meiner Lyrik ertönten die meditativen Musikstücke der Gitarristin Anja Blauth.
Es schloss sich ein lebhafter Austausch an, in dem weitere Aspekte und persönliche Zugänge zum Thema Erinnerung zur Sprache kamen.
Ich danke allen herzlich, die dabei waren! Es war wunderbar zu merken, wie die Gedichte in jeder Zuhörerin etwas ganz Eigenes zum Klingen bringen.