Hinaus!
Hinaus aus den vier Wänden!
Himmelweit
dehnen sich die Wolken
über der Allee
Schwarz
schreibt das Astgewirr
der Bäume Weisheit
in den Winterhimmel
eine Ahnung nur
vom ABC der Zweige
…
Am Satzende
strahlt die Sonne auf
Staunend stehe ich
im Wolkenriss
minutenlang
überschüttet
von Licht
Christine Ruppert © 2019
Zurückfinden
In
den späteren Jahren
ist der Schnee eine Last
bedrohliche Unbill
Stolperstein
im reibungslosen Ablauf der Dinge
Man sehnt den Frühling herbei
schaudert ob der Kälte
und verwünscht die frühe Dunkelheit
Doch eines Morgens
verzaubert Sonnenlicht
die frisch verschneite Landschaft
und du entdeckst
Schönheit
Auf leisen Sohlen
nähert sich Freude
über die
Abweichung vom Alltäglichen
die lautlose Eleganz
der tanzenden Flocken
die Verwandlung
Und wenn du
für einen Augenblick
zurückfinden kannst
zur Winterfreude des Kindes
dann baust du
wenn keiner hinsieht
einen Schneemann
und dein Herz lächelt
Christine Ruppert © 2013
Seiltänzerin
Trau nicht
den Stimmen der Angst
Den Katastrophenvorstellungen
nimm das letzte Wort
Lass deine Wut
keine Hasswurzeln schlagen
Bete um Bewahrung vor Bitterkeit
Sprich
die Worte des Vertrauens nach
Halte dich
an die Geschichten der Hoffnung
Besteige das Drahtseil Vertrauen
erneut
– es gibt keinen anderen Weg zum Du –
und geh
als wäre der Abgrund nicht da
Christine Ruppert © 2016
Verkleidungen
Ich erinnere mich
an kindliche
Verwandlungsspiele
Wenn ich nur wollte
war ich
ein braves Schulmädchen
angetan
mit Kleid weißer Schürze und Zöpfen
Die Hausaufgaben
wurden mir zum Spiel
Den großen Garten
durchstreifte ich
auf der Suche nach Abenteuern
als Winnetou
und Robin Hood
mit Pfeil und Bogen
Mühelos glückte mir
das Eintauchen
in die Welten meiner Fantasie
und die Spiele
waren mir Wirklichkeit
Heute sehne ich mich
nach der kindlichen Gabe
mit Leichtigkeit
eine Andere zu sein
Christine Ruppert © 2016
Herzkammer
Sie sagen
DU
kommst
ins Dunkle
bringst
Licht in die Welt
mit deiner Geburt
Ich weiß wohl
DU
kennst
mein Verborgenstes
durchliebst
was ich
nicht lieben kann
Ich hoffe
DU
kommst
zur Welt
in mir
einem Ort
dem Stall so ähnlich
voller Sehnsucht
nach Verwandlung
Christine Ruppert © 2013
Unverhofft
Unverhofft
lockt mich die Kiste
mit Adventsfiguren
Engel Elch und Nikolaus
nehmen leise kichernd
am Fensterbrett
Aufstellung
Bunte Lichter flammen
Warme Töne klingen
Willig öffne ich
dem Zauber
Tür und Tor
Ein kleines Glück
breitet mächtig
seine Schwingen aus
und mein Innerstes
wird leicht
und freudevoll
Christine Ruppert © 2018
Gebet ohne Worte
Wenn der Schmerz
mir die Sprache
verschlägt
wenn Traurigkeit
meine Worte
austrocknet
schütte
ich mein Herzensgeröll
vor deine Füße
Gott
die schweren Steine
und die spitzen
lausche
ich der Stille
die folgt
und falle
in deine Arme
Christine Ruppert © 2016
Novemberwonne
Gib mir deine graue Decke
November
Ich zieh sie mir über
den Kopf
Ich grabe mich ein in deine
weichen Federn
genieße die Ruhe die
Dunkelheit
Endlich einmal genug
genug getan genug
gewagt genug geleistet
Mein Körper schreit meine Seele
ruft nach Rast
Gib mir deine graue
Decke November Ich zieh
sie mir über den Kopf
Ich krieche ins Weiche undWarme
Ich lasse
los
–
und seufze
Ach
endlich
Christine Ruppert © 2018
Furcht
Furcht
spricht
von furchtbaren Dingen
die geschehen könnten
Furcht malt
einfallsreiche Bilder
in Schreckensfarben
Furcht besitzt ein Kino
und spielt jederzeit
alte und neue Streifen
mit Angstfantasien
Furcht kann
herzklopfenmagendrückenschweiß
ausbruchmuskelkrämpfebrustbeengung
Furcht löst sich
im besten Fall
in Luft auf
Christine Ruppert
Spät im Jahr
Sommerlich
gekleidete Menschen
gehen auf staubigen
Oktoberwegen
Dürre Blätter rascheln
Hungrige Vögel zanken sich
im trockenen Gras
Eicheln fallen
mit hartem Laut
Der Sonnenstand
zeigt die Jahreszeit
Schräge Lichtstrahlen
tauchen
gefärbte Äste
in überirdischen Glanz
Christine Ruppert