Schenk mir Augen
hinter dem zerbrochenen Zaun
die Pracht der Blumen zu sehen
und die Hummeln die darin tanzen
Schenk mir ein Herz
dem Leben mehr zu trauen
als die Erfahrung wagt
Schenk mir ein Lachen
das zwischen den Schmerzsteinen
die bunten Glücksmurmeln sucht
Lass mich die Schönheit sehen
die Freundlichkeit spüren
die Zärtlichkeit genießen
Öffne mich Herr
für deinen Geist!
Christine Ruppert
© 2017
Worte wie Umarmungen – Lesung in der Stadtakdemie
Einen Abend mit
Poesie und Musik erlebten die 17 Besucher*innen meiner Lesung in der
Evangelischen Stadtakademie Düsseldorf am 12.3.2019.
Die Gedichte holten die Zuhörer*innen mit dem Thema Natur im gegenwärtigen Wechsel der Jahreszeiten vom Winter zum
Frühling ab und wanden sich dann dem Thema Vertrauen
zu, Vertrauen ins Leben, in Gott und die Mitmenschen, das es immer wieder neu
zu finden gilt. Es folgten meine Psalmen
in denen Poesie zum Gebet wird und die der Hoffnung auf die verwandelnde Kraft
Gottes Ausdruck verleihen. Den Abschluss bildeten Texte zum Thema In Beziehung, die der Frage nach dem
Verstehen und Verstanden werden nachgehen.
Im klangvollen Wechsel zu meiner Lyrik ertönten die meditativen Musikstücke des
Hang-Spielers Harry Meschke. Die
bewegenden Tonfolgen, die er seinem
besonderen Instrument entlockte, gaben Raum um das Gehörte nachwirken zu
lassen.
Im anschließenden Gespräch gab es viele positive
Rückmeldungen über die ich mich sehr gefreut habe und die mich in meiner
weiteren Textarbeit motivieren und ermutigen.
Im letzten Teil des Abends konnten die Teilnehmer*innen selbst kreativ werden
und übten sich im Haiku schreiben.
Diese japanische Form des Kurzgedichts, bestehend aus nur drei Zeilen mit 17
Silben, eignet sich wunderbar für poetische Momentaufnahmen. So entstanden eine
Reihe von stimmungsvollen Miniatur-Kunstwerken.
Ein gelungener Abend, an den ich mich noch lange mit Freude erinnern werde!
März
Nackt
stehen die Bäume
im Frühjahr
Zögerlich nur
wärmen sie ihren Stamm
der so viele Stürme bestanden hat
in der Sonne
Die kahlen Zweige
recken sich
fremd noch
ins fragwürdige Blau
des Frühlingshimmels
Vorsichtig
tastest auch du
nach der Grünkraft
in deinem Inneren
Du stehst am Fenster
und fragst dich
was du hoffen kannst
von diesem Sommer
Christine Ruppert © 2013
Lichtgeburt
Hinaus!
Hinaus aus den vier Wänden!
Himmelweit
dehnen sich die Wolken
über der Allee
Schwarz
schreibt das Astgewirr
der Bäume Weisheit
in den Winterhimmel
eine Ahnung nur
vom ABC der Zweige
…
Am Satzende
strahlt die Sonne auf
Staunend stehe ich
im Wolkenriss
minutenlang
überschüttet
von Licht
Christine Ruppert © 2019
Zurückfinden
In
den späteren Jahren
ist der Schnee eine Last
bedrohliche Unbill
Stolperstein
im reibungslosen Ablauf der Dinge
Man sehnt den Frühling herbei
schaudert ob der Kälte
und verwünscht die frühe Dunkelheit
Doch eines Morgens
verzaubert Sonnenlicht
die frisch verschneite Landschaft
und du entdeckst
Schönheit
Auf leisen Sohlen
nähert sich Freude
über die
Abweichung vom Alltäglichen
die lautlose Eleganz
der tanzenden Flocken
die Verwandlung
Und wenn du
für einen Augenblick
zurückfinden kannst
zur Winterfreude des Kindes
dann baust du
wenn keiner hinsieht
einen Schneemann
und dein Herz lächelt
Christine Ruppert © 2013
Seiltänzerin
Trau nicht
den Stimmen der Angst
Den Katastrophenvorstellungen
nimm das letzte Wort
Lass deine Wut
keine Hasswurzeln schlagen
Bete um Bewahrung vor Bitterkeit
Sprich
die Worte des Vertrauens nach
Halte dich
an die Geschichten der Hoffnung
Besteige das Drahtseil Vertrauen
erneut
– es gibt keinen anderen Weg zum Du –
und geh
als wäre der Abgrund nicht da
Christine Ruppert © 2016
Verkleidungen
Ich erinnere mich
an kindliche
Verwandlungsspiele
Wenn ich nur wollte
war ich
ein braves Schulmädchen
angetan
mit Kleid weißer Schürze und Zöpfen
Die Hausaufgaben
wurden mir zum Spiel
Den großen Garten
durchstreifte ich
auf der Suche nach Abenteuern
als Winnetou
und Robin Hood
mit Pfeil und Bogen
Mühelos glückte mir
das Eintauchen
in die Welten meiner Fantasie
und die Spiele
waren mir Wirklichkeit
Heute sehne ich mich
nach der kindlichen Gabe
mit Leichtigkeit
eine Andere zu sein
Christine Ruppert © 2016
Herzkammer
Sie sagen
DU
kommst
ins Dunkle
bringst
Licht in die Welt
mit deiner Geburt
Ich weiß wohl
DU
kennst
mein Verborgenstes
durchliebst
was ich
nicht lieben kann
Ich hoffe
DU
kommst
zur Welt
in mir
einem Ort
dem Stall so ähnlich
voller Sehnsucht
nach Verwandlung
Christine Ruppert © 2013
Unverhofft
Unverhofft
lockt mich die Kiste
mit Adventsfiguren
Engel Elch und Nikolaus
nehmen leise kichernd
am Fensterbrett
Aufstellung
Bunte Lichter flammen
Warme Töne klingen
Willig öffne ich
dem Zauber
Tür und Tor
Ein kleines Glück
breitet mächtig
seine Schwingen aus
und mein Innerstes
wird leicht
und freudevoll
Christine Ruppert © 2018
Gebet ohne Worte
Wenn der Schmerz
mir die Sprache
verschlägt
wenn Traurigkeit
meine Worte
austrocknet
schütte
ich mein Herzensgeröll
vor deine Füße
Gott
die schweren Steine
und die spitzen
lausche
ich der Stille
die folgt
und falle
in deine Arme
Christine Ruppert © 2016